Der Vollmond, die Lichtgrenze und Mare Orientale

Wien 21/Stammersdorf, 05. 02. 2004

20040205wvo20.html

Beobachter:Wolfgang Vollmann
Datum:05. 02. 2004
Zeit:20.00 bis 23.00 MEZ
Ort:Wien 21/Stammersdorf
Instrument:Refraktor 130/1040mm (AP 130EDT)
Bedingungen:

Durchsicht:ausreichend (3)
Seeing:ausreichend (3)

Bericht:

Der Vollmond guckte durch abziehende Wolken und lud zum Beobachten ein. Strenggenommen trat der Vollmond erst am 6.Feb. um 10 Uhr MEZ ein, ich beobachtete also 12 Stunden vorher. Mit freiem Auge war der Mond aber völlig rund zu sehen und nicht mehr vom Vollmond zu unterscheiden. Im Fernrohr war schon bei 55-facher Vergrösserung der Terminator (die Lichtgrenze) deutlich zu erkennen: der Rand von den Kratern Struve/Eddington über den Mondsüdpol bis zum Mare Australe, das deutlich zu erkennen war, zeigte deutlich Berggipfel und Kraterwälle und Schattenwurf im Relief. Ich benutzte dann höhere Vergrösserungen von 115 bis 173x, auch wenn die Luft recht unruhig war.

Interessant war die Gegend um den Mondsüdpol, da die Libration in Breite B = -6,5 Grad betrug, uns also der Südpol des Mondes ziemlich zugekippt war. Die sehr gebirgige Gegend des Mondsüdpols, zusammen mit dem Schattenwurf und dem Blick sozusagen von der Seite war eine ungewöhnliche Perspektive - möglicherweise ähnlich dem Blick aus einem Raumschiff zum Mondrand! Ich finde die Randgegenden des Mondes im Fernrohr besonders interessant, da wir nicht aus der "Vogelperspektive" von oben sondern von der Seite aus sehen - das entspricht mehr dem uns vertrauten Anblick eines irdischen Gebirges vom Boden aus.

Ein wenig gibt das Blatt H9 aus dem "Consolidated Lunar Atlas" den Eindruck am Fernrohr wieder:
Bild: http://www.lpi.usra.edu/research/cla/info/h9/
Consolidated Lunar Atlas: http://www.lpi.usra.edu/research/cla

Für mich ganz neu war die heutige Ansicht des Mare Orientale. Bisher habe ich bei günstiger Libration den dunklen Mareboden von Orientale sehen können (siehe z.B. Bericht vom 11.Jan.2004). Dabei stand die Sonne über Orientale hoch und die Randgebirgsketten waren nur am Mondrand als Berggipfel gegen den dunklen Himmel sichtbar. Ein ähnliches Bild bietet das Blatt FV des "Consolidated Lunar Atlas": http://www.lpi.usra.edu/research/cla/info/fv/.

Orientale ist aber vor allem ein grosses Einschlagsbecken mit mehreren Gebirgsringen; der Mareboden bedeckt nur einen kleinen Teil der Orientale Einschlagsstruktur. Das zeigten die Lunar Orbiter Aufnahmen sehr gut.
Bild: http://www.lpi.usra.edu/research/lunar_orbiter/images/aimg/iv_173_m.jpg
Lunar Orbiter Atlas: http://www.lpi.usra.edu/research/lunar_orbiter

Heute zeigten sich die Randgebirge von Orientale sehr deutlich als flache Ringformen und Bergketten im Fernrohr. Ich konnte nicht nur den äusseren Ring der Kordilleren (Montes Cordillera) sondern auch den weiter innen liegenden Ring der Rook-Berge (Montes Rook) und das dazwischen liegende relativ flache Gebiet mit dem "Herbstsee" (Lacus Autumni) erkennen. Sogar der noch weiter innen liegende Ring der inneren Rook-Berge war gerade an der Lichtgrenze sehen. Den dunklen Mareboden von Orientale konnte ich heute nicht erkennen: er lag im Schatten.

Der günstige Schattenwurf bei tiefstehender Sonne über Orientale durch die nahe Lichtgrenze liess das Bild auch sehr plastisch wirken und bei etwas gedanklicher "Entzerrung" des flachen Blickwinkels konnte ich die Form und Struktur des Orientale Einschlagsbecken durchaus auch am Fernrohr nacherleben.

Die während der Beobachtung herrschende Beleuchtung wird durch die Lage der Lichtgrenze bestimmt. In den Jahrbüchern wird traditionellerweise die "Colongitude" angegeben, die eigentlich die Lage des Morgenterminators (der Morgenlichtgrenze) angibt. Die gleiche Lage der Lichtgrenze tritt in den nächsten Monaten zu folgenden Terminen ein; dann kann die Beobachtung von Orientale unter den gleichen Beleuchtungsverhältnissen wiederholt werden:

Datum, Uhrzeit MEZColongitudeLibration in LängeLibration in BreiteLibration Gesamt
2004 Feb. 5, 22h88,8°-4,5°-6,5°7,9° in PW 145°
2004 März 6, 12h88,7°-5,1°-5,9°7,8° in PW 139°
2004 Apr. 5,  1h88,7°-4,7°-3,6°5,9° in PW 128°
2004 Mai  4, 15h89,0°-3,4°-0,1°3,4° in PW 92°
2004 Jun. 3,  1h88,8°-1,5°+3,3°3,6° in PW 24°

Die Tabelle zeigt dass die Libration in den nächsten Monaten rasch ungünstiger wird. Die beste Gelegenheit zur Beobachtung bietet sich wohl am 5./6.März und am 4.April.

Übrigens gibt es ein sehr empfehlenswertes neues Buch über den Mond von Charles A. Wood: "The Modern Moon - A Personal View". Es zeigt den Mond nicht nur sondern erklärt ihn auch aus der modernen Perspektive. Es ist auch sehr gut geschrieben! Neben dem unerlässlichen "Mondatlas" von Antonin Rükl ist das mein 2.Lieblingsbuch für "Mondsüchtige".