Venustransit

Wien 2, Oswald Thomas Platz vor dem Planetarium, 08. 06. 2004

20040608vtp06.html

Beobachter:Alexander Pikhard (Text, Fotos), Renate Baumann (Fotos)
Datum:08. 06. 2004
Zeit:06.15 bis 14.00 MESZ
Ort:Wien 2, Oswald Thomas Platz vor dem Planetarium
Instrument:12" Meade LX-200 (visuell und Schnappschüsse), Refraktor 50/600mm (WebCam), Philips ToUCam Pro
Bedingungen:

Durchsicht:gut (2)
Seeing:gut (2)
Temperatur:14 bis 29 °C
Wind:kein
Bemerkungen:Anfangs wolkenlos, später wenige kleine Quellwolken

Bericht:

Ich bin an sich, was astronomische Großereignisse anbelangt, eher vorsichtig, und tendiere dazu, zu relativieren. Mehr als 30 Jahre Erfahrung haben gezeigt, dass eine allzu große Ankündigung von Meteorschauern, Kometen, (Halbschatten-) Mondfinsternissen oder auch Transits dem Ruf der Astronomie eher abträglich sein kann, weil die Erwartungen zu hoch geschraubt werden.

Bei diesem Transit gelang mir das emotional nicht mehr; er ist einfach eine Sensation. Generationen konnten so etwas nicht sehen, und dass gerade meine diese rare Gunst der Natur erfahren darf, erfüllt mich mit Ehrfurcht, und so ist der Transit auch für mich eine Sensation, unmöglich, das zu relativieren.

Es mag Verdrängung sein, dass ich erst eine Woche vor dem Ereignis intensiv daran gedacht habe; anders, als bei der totalen Sonnenfinsternis 1999, vor der ich die Jahre, dann die Monate, dann die Tage zählte. Oder war die Tatsache, dass ab diesem Zeitpunkt Wetterprognosen vorliegen, entscheidend? Deren Entwicklung konnte dramatischer nicht sein: "Vielleicht schön - Wolkenlöcher möglich - Gewitter erst am Nachmittag - Quellwolken erst später - wolkenlos" war eine Kette von Prognosen wie aus dem Märchen. Spätestens der erste milde, klare Abend am Tag vor dem Transit ließ Glücksgefühle aufkommen.

Ich erwache, bevor der Wecker läutet. Kein Wunder, eher ein Wunder, dass ich überhaupt schlafen konnte in dieser Nacht vor dem Transit. Ich blicke aus dem Fenster und erlebe ein grausiges Déjà vu vom 11. August 1999: Ich sehe mit meinen verschlafenen Augen den Dämmerungshimmel in einem homogenen, dunklen graublau, genau wie damals. Ist es klarer Himmel oder bedeckt? Dann erblicke ich den abnehmenden Mond ... der Himmel ist wolkenlos! Ein paar Minuten später ist der Himmel strahlend blau. Nach diesem Adrenalinstoß bin ich hellwach.

Es gilt, meine Ausrüstung zum Oswald Thomas-Platz zu bringen. Bedingt durch das frühe Erwachen bin ich eine gute halbe Stunde vor dem geplanten Aufbautermin vor Ort. Keine Wolke am Himmel und durch den Morgendunst und das Riesenrad fallen die ersten Sonnenstrahlen auf den menschenleeren Platz. Halt, er ist nicht menschenleer!

Aufbau früh am Morgen

Ein Auto von Radio Wien steht da mitten zwischen den Blumenbeeten, und um 6.10 Uhr kommt der bekannte Reporter Hadschi Bankhofer auf mich zu. Unglaublich, ein erstes Interview, und das zu dieser Tageszeit. Rund eine Viertelstunde später, wir bauen gerade unsere Teleskope auf, ist es schon auf Sendung. Ich frage mich kurz, wie die Aufnahme aus dem VW Golf ins Studio gelangt ist, und beantworte mir die Frage mit der Feststellung, dass wir im 21. Jahrhundert leben ...


Hadschi Bankhofer interviewt Harry Halas

Der Fernrohrwald wächst

Nur wenige Minuten vor dem ersten Kontakt sind wir mit dem Aufbau der Instrumente fertig. Alles funktioniert. Das Wetter ist herrlich. Es kann losgehen!

Der Anfang

Unglaublich! Schon vor dem ersten Kontakt sammeln sich viele Schaulustige hier. Die Ankündigungen in den Medien waren zwar recht kurzfristig, dafür aber umso wirkungsvoller. Eine geballte Ladung an Zeitungsartikeln, Sondernsendungen und Einschaltungen hat die Bevölkerung mobilisiert, und es sind keineswegs nur Jogger und Hundebesitzer, die kurz nach 7 Uhr unsere Station besuchen.


Alle Rohre sind jetzt auf die Sonne gerichtet


Ob mit Finsternisbrille, SolarScope oder Teleskop:
Niemand will den ersten Kontakt versäumen

Die Spannung steigt. Und dann ist sie da, die heiss ersehnte, kleine Kerbe am Rand. Der Transit hat begonnen! Unübersehbar, deutlich. Ganz langsam schiebt sich die Venus vor die Sonnenscheibe, und unsere Spannung steigt. Was wird passieren? So viele Zeichnungen gibt es von dem berühmten Tropfenphänomen. Wie wird es aussehen? Alle Augen sind auf das SolarScope oder auf meinen Computerbildschrim gerichtet, wohin eine WebCam das Ereignis überträgt. Aus den Webcam-Videos stammen auch die folgenden Bilder, jeweils gestackt aus Bildfolgen von ca. 200 Frames. Alle Webcam-Bilder in diesem Bericht im Originalmaßstab (F=600mm). Die rötliche Färbung der Sonne entsteht durch die Kombination der Baader-Folie und der Webcam ohne IR-Sperrfilter.


Die ersten Phasen des Transits: Der Eintritt

In den Fernrohren sehen wir die Venus deutlich als Ring. Ganz fein ist die Lichtbrücke, die durch die Atmosphäre der Venus entsteht. Tiefer und tiefer dringt unser Schwesterplanet ein, und bleibt gestochen scharf und kreisrund. Das Seeing ist gut, zeitweise sogar sehr gut.


Der Anfang im SolarScope

Ich halte den zweiten Kontakt auf Video fest. Venus ist kreisrund, bleibt kreisrund. Langsam schließt sich die Sonne hinter der Venus, die feinen Spitzen verbinden sich, es entsteht eine "Brücke", Venus löst sich vom Sonnenrand, gleitet in die Weite der Sonnenscheibe, und - kein Tropfen ! Das Phänomen ist ausgeblieben, scheint nicht zu existieren. Auch visuell konnten wir es nicht nachvollziehen.

Ich nehme eine Videosequenz vom zweiten Kontakt auf, gute fünf Minuten. Mit Registax stacke ich kurze, rund 100 Frames lange Sequenzen, im Abstand von jeweils 400 Frames. Daraus entsteht die folgende Bildfolge:


Bildsequenz vom zweiten Kontakt. Belichtungszeit pro Frame je 1/1000s, jeweils rund 30 von 100 Frames.
Beim vorletzten Bild wanderten Sonne und Venus hinter einer Speiche des Riesenrads vorbei. Keine deutliche
Spur von einem Tropfen, Venus "löst" sich leicht vom Sonnenrand. Um Artefakte zu vermeiden, wurde keine
unscharfe Maske angewendet, sondern die Bilder im Originalzustand belassen.

Sechs lange, schöne Stunden

Der Transit hat begonnen, und schon macht sich das unbeschreibliche Gefühl bemerkbar, etwas ganz besonderes zu sehen. Der Blick durchs Fernrohr ist in der Tat erhebend. Keiner, der sagt: "Was, das ist alles?". Nein, die meisten sind beeindruckt, wie gross Venus vor der Sonnenscheibe erscheint. Und es ist keine Kunst, sie mit freiem Auge zu sehen, auch mit den weniger guten Finsternisbrillen.


Transit-Schnappschuß, Digicam durch 50mm Plössl am 12" LX-200

Im Lauf der 6 Stunden kommen rund 600 Personen zu unserer Station, darunter auch viele Schulklassen. Die Kinder finden den Transit "urcool", vor allem die Tatsache, dass so etwas wirklich nicht jeder zu sehen bekommt. Buntes Treiben bestimmt den Vormittag und statt vieler Worte ein paar Eindrücke.

 
    

Das große Bild in der Mitte ist eine Montage aus einzelnen Webcam-Bildern des Transits. Die einzelnen Videos waren rund 200 Frames lang, Belichtungszeit jetzt 1/1500s. Die Summenbilder wurden mit Registax gestackt, rund 30-50 Bilder pro Aufnahme. Da mein LX-200 und damit auch der huckepack montierte kleine Refraktor mit der Webcam azimutal montiert ist, verformt die Drehung der Sonne im Positionswinkel die an sich geradlinige scheinbare Bahn der Venus zu einer eingenartigen Kurve. Diesen Verlauf sahen natürlich auch alle Beobachter mit Finsternisbrillen. Ein Klick auf das Bild schaltet um zu einer Darstellung mit eingeblendeten Zeiten.

Transit und Natur

Es wird allmählich sehr heiss an diesem sommerlichen, wolkenlosen Vormittag. Das klimatisierte Foyer des Planetariums, aber auch der Schatten der Bäume, sind begehrte Zufluchtsorte. Und unter dem Schatten dieser Bäume können wir, ähnlich wie bei Sonnenfinsternissen, ein ganz besonderes Schauspiel erleben: Wir sehen die Sonne in den kleinen Bildchen, die die unzähligen Lochkameras erzeugen!


Im Schatten eines grossen Baums ...

... beobachten wir den Transit!


Auf den schärferen Bildchen ist die Venus deutlich zu sehen

Diese wohl einfachste Art, den Transit zu beobachten - wenn man es weiss - beeindruckt vor allem die Schulklassen, die uns besuchen. Für viele, die im Büro sitzen müssen, wohl die einzige Art zur Beobachtung, wie auch der Bericht von Rainer Halanek belegt.

Transit im 21. Jahrhundert

Was definitiv noch nie ein Mensch gesehen haben kann, ist der gleichzeitige Transit der Venus und eines künstlichen, von Menschenhand geschaffenen Himmelskörpers vor der Sonne. 1882 war das natürlich noch nicht möglich. Um 12.09 Uhr war ein Transit der Internationalen Raumstation (ISS) vor der Sonne prognostiziert worden.

Alle Augen waren an den Teleskopen, ich liess ein Video mitlaufen ... nichts! Ich resignierte zunächst. War wohl von Wien aus nicht zu sehen. Im Nachhinhein erfahre ich von Beobachtungen vom Kahlenberg. Hmmm, dann war der ISS-Transit wohl auf dem Kahlenberg zu sehen gewesen. Dann sehe ich Thomas Strehls Bilder, keine 200m von meinem Beobachtungsort aus aufgenommen. Wie bitte? Wie gibt es das? Ich habe das Video gut ein Dutzend Mal angesehen, dabei eine Schwalbe erwischt, die vor der Sonne vorbeiflog, ich habe konzentriert visuell beobachtet, ich muss die ISS auf dem Video haben. Und wieso habe ich sie nicht gesehen?

Halt, eine Ablenkung hat es gegeben ... ich hatte das Teleskop nicht genau eingenordet, daher driftete die Sonne immer wieder nach Süden, ich musste korrigieren. Dabei habe ich einmal das Auge vom Okular genommen und auf den Bildschirm geschaut. Sollte genau in diesem Moment die ISS über die Sonne gehuscht sein? Sie sollte!

Ich betrachte das 2000 Frames lange Video Bild für Bild und weiss ja jetzt, wo ich nach der ISS suchen muss. Da kommt die Korrektur - halt, was ist das? Mein Gesichtsfeld macht rund 1/3 der Sonnenscheibe aus, und die Drift nach Süden rettet mir die ISS! Auf einem einzigen Frame - die Venus ist schon fast aus dem Bild gewandert - steht sie ganz in einer Ecke, aber unverkennbar. Ein einziger Frame, bei 5 Frames pro Sekunde. Hätte ich um Sekundenbruchteile früher korrigiert, die ISS wäre nicht mehr im Bild gewesen. Doch so ging es sich aus. Und ja, ich hatte in diesen Sekunden das Auge nicht am Okular ...


Venustransit und ISS

Die Venus ist zur Hälfte abgeschnitten, was jetzt? Ich nehme einen einige Sekunden früher liegenden Frame und mache ein Bildmosaik. So kann ich dieses einmalige Ereignis doch noch im Bild festhalten. Danke, Tom, für Dein Bild, es hat mir als Wegweiser gedient! Etwas später, beim Aufnehmen eines der routinemäßigen Videos, verpasse ich ein Passagierflugzeug, das bildfüllend vor der Sonne steht, um eine knappe Sekunde. Mist!

Das Ende

Langsam nähert sich die Venus doch wieder dem Sonnenrand. Wegen der starken Drehung des Positionswinkels der Sonne in Bezug auf den Zenit sind viele Beobachter sehr verwirrt, in welche Richtung die Venus jetzt wandert. Meine Montage von vorhin zeigt, wie schleifend sich die Venus dem Sonnenrand nähert.

Viele mussten schon wieder zur Arbeit, doch noch immer drängen sich Gäste an den Fernrohren, schauen mit Finsternisbrillen zur Sonne. Die Venus wird jetzt mit freiem Auge schwieriger zu erkennen.


Letzte Blicke zur Venus vor der Sonne

Stadionatmosphäre hinter dem SolarScope

Noch einmal wird es spannend. Wird es beim dritten Kontakt einen Tropfen geben? Quellwolken, die in der Mittagshitze aufsteigen, machen die Angelegenheit noch spannender. Werden wir den Kontakt wegen Wolken versäumen? Doch die Natur hat ein Einsehen mit uns und läßt uns auch den dritten und vierten Kontakt beobachten. Und: Wieder kein Tropfen! Bei deutlich schlechterem Seeing entsteht zwar visuell eine Andeutung, aber das Video schafft Klarheit. Ich mache das Gleiche wie beim zweiten Kontakt: Ein langes Video, aus dem ich kurze Teilsequenzen stacke.


Bildsequenz vom dritten Kontakt. Belichtungszeit pro Frame je 1/1500s, jeweils rund 30 von 100 Frames.
Keine deutliche Spur von einem Tropfen, Venus berührt sanft den Sonnenrand. Um Artefakte zu vermeiden,
wurde keine unscharfe Maske angewendet, sondern die Bilder im Originalzustand belassen.

Venus hat den Sonnenrand berührt und wandert weiter. Die letzten Phasen des Transits haben begonnen.


Die letzten Phasen des Transits: Der Austritt

Die letzte kleine Kerbe verschwindet im Seeing. Es ist vorbei, und wir konnten den Transit in vollem Verlauf beobachten. Zwei junge Besucherinnen kommen zehn Minuten nach dem Ende vorbei, ausser Atem, um noch einen Blick durch die Teleskope zu erhaschen, die wir gerade abbauen. Die Enttäuschung ist gross; doch so sehr wir uns bemühten, wir konnten die Venus nicht aufhalten ...

Ur-cool

Was durften wir nicht alles in den letzten zehn Jahren erleben? Den Einschlag von Shoemaker-Levy 9 auf Jupiter; die beiden prachtvollen Kometen Hyakutake und Hale-Bopp; die totale Sonnenfinsternis 1999; den Leoniden-Schauer; den Merkur-Transit 2003; die Marsopposition 2003; und jetzt den Venus-Transit, eines der seltensten Himmelsschauspiele überhaupt.

Bleibt da überhaupt noch etwas zum Beobachten? Und ob! Auf uns warten zwei wunderbare Sonnenfinsternisse 2005 und 2006, die nächste Kantenstellung des Saturn, die sehr seltene Kantenstellung des Uranus, und vielleicht noch viele andere Dinge, die sich nicht im voraus berechnen lassen. Dies alles vor dem Hintergrund einer Wissenschaft, die sich so rasant entwickelt, wie letztlich der Transit vorüber gegangen ist. Was wir in den nächsten Jahren alles lernen werden, wissen wir nicht. Aber wir brennen bereits jetzt vor Neugierde!

Tausende Menschen haben diesen Transit bewußt beobachtet; sie waren nicht enttäuscht, sondern begeistert. Die Medien haben kurzfristig, aber gut informiert und wieder einmal war Astronomie in aller Munde. Selbst Kinder und Jugendliche fanden die seltene Passage des Planeten Venus vor der Sonne "ur-cool"; vor allem deshalb, weil sie Zeugen des Ereignisses werden durften und ihre Kinder einst so etwas nicht sehen können werden. Auch wenn ältere Menschen mit dieser Formulierung nichts anfangen können, es ist der beste Ausdruck für Begeisterung.

Das Weltall ist Teil der Natur, das wurde heute wieder einmal ganz deutlich. Es sind Tage wie der heutige, die das Fundament unserer Arbeit bilden ...

Erforschen wir diesen Teil der Natur weiter, und tragen wir die damit verbunde Begeisterung weiter. So wie heute ...