Schaltsekunde - was ist das?Alexander Pikhard |
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Die Drehung der Erde um ihre Achse war seit langem der wichtigste Zeitgeber für die Menschen. Doch je genauer die Uhren wurden, desto mehr wurde bewusst, dass sich die Erde gar nicht so gleichmäßig um ihre Achse dreht. Die Entwicklung der Zeit
Mit dem Aufkommen immer genauerer Uhren wurde bald klar, dass die rotierende Erde selbst keine so
genaue Uhr abgibt. Zum anderen unterliegt die Erddrehung zahlreichen halbregelmäßigen Schwankungen, die ihre Ursache im inneren Aufbau der Erde, aber auch in der Anziehungskraft anderer Himmelskörper (vornehmlich Sonne und Mond) haben. So wirkt sich etwa auf die Rotation der Erde messbar aus, wenn im Herbst auf der Nordhalbkugel in den enormen Laubwäldern Kanadas und Sibiriens die Blätter von den Bäumen fallen. Die Laubmasse verlagert sich um einige Meter in Richtung Erdmittelpunkt, die Erde wird schneller. Senkt sich im Frühjahr das verrottende Laub und wachsen auf den Bäumen neue Blätter, so verlangsamt sich die Erde wieder. Schmelzen in den Polarregionen die Eismassen, die auf Festland liegen (Antarktis, Grönland),
so hebt sie die Landmasse; dadurch steigt der Poldurchmesser der Erde, der Äquatordurchmesser
wird geringer. Die Erde wird schlanker - und schneller.
Wer "macht" die Zeit? Basiert die Zeit auf der Erddrehung mit Bezug auf die Sonne, hat jeder Längengrad auf der Erde seine eigene Zeit. Auf einer sich um ihre Achse drehenden Kugel haben alle Orte auf einem Meridian die Sonne gleichzeitig im Süden, Mittag. Mit dem ersten Aufkommen von Globalisierung als Folge der Eisenbahn war es nicht mehr länger praktikabel, dass jeder Ort seine eigene Zeit hat - wie sollte so ein Fahrplan erstellt werden? Ausgehend von einem System der nordamerikanischen Eisenbahngesellschaften wurde im Rahmen der Internationalen Meridiankonferenz 1884 in Washington die Erde in Zeitzonen eingeteilt. Dabei war die ursprüngliche Idee, dass innerhalb einer Zeitzone die Zonenzeit um maximal eine halbe Stunde von der Ortszeit abweicht.
Als Nullmeridian wurde der durch den Meridiankreis des Observatoriums in Greenwich (London) verlaufende Ortsmeridian festgelegt. Da die Erde in 24 Zeitzonen unterteilt wurde, hat jede Zeitzone eine Längenausdehnung von 360°/24 = 15°. Die Zonenmeridiane liegen also in jeweils 15° Abstand. Für Österreich gilt die Mitteleuropäische Zeit (MEZ).
Heute orientieren sich die Zeitzonen nach politischen Grenzen; die Regel, wonach der Unterschied mittlere Ortszeit zu mittlere Zonenzeit unter einer halben Stunde ausmachen soll, gilt längst nicht mehr. So umfasst die Zone der MEZ fast die gesamte zentrale EU und reicht von der Ostgrenze Polens bis zur Westküste Spaniens. Viele Länder verschieben auch die Zeit gegenüber der regional üblichen Zonenzeit, entweder permanent (z.B. Iran und Indien) oder zeitweise (Sommerzeit).
In der heutigen, digital vernetzen Welt, reicht die Koordinierung der Zeit aber weit über die Zeitzonen hinaus. In weltumspannenden digitalen Netzwerken müssen alle Uhren gleich ticken. Wer macht diese weltweit koordinierte Zeit? Der Internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (International Earth Rotation and Reference Systems, IERS) ist dafür verwantwortlich. Diese internationale Organisation verwaltet weltweit die Zeit. Referenzsystem ist die TAI (Temps Atomique International, Internationale Atomzeit). 60 Zeitinstitute mit mehr als 250 Atomuhren stellen die weltweit gültige exakte Zeit bereit. Da die Cäsium-Atome dieser Uhren genauer schwingen, als sich die Erde als Wandelgestirn bewegt, kommt es zu Differenzen zur der aus der Erdrotation abgeleiteten UT1 (Universal Time). Da eine ungleichförmige Zeit nicht praktikabel ist, wurde die UTC (Universal Time Coordinated, koordinierte Weltzeit) eingeführt. Sie orientiert sich an der (astronomischen) Erddrehung, basiert aber auf der Sekundendefinition der TAI. Da sich die Erdrotation verlangsamt, ist es von Zeit zu Zeit notwendig, die UTC an die TAI anzugleichen, damit Welt- und Atomzeit nicht auseinander driften (und in einer sehr fernen Zeit etwa Mittag TAI auf Mitternacht UTC fällt). Dies erfolgt durch eine Schaltsekunde Durch Einschieben einer Schaltsekunde wird sichergestellt, dass die Differenz zwischen TAI und UTC stets unter 0,9 Sekunden liegt. Im Mittel sind Schaltsekunden alle 18 Monate nötig. Sie werden, falls erforderlich, am 30. Juni oder 31. Dezember, theoretisch auch am 31. März, nach 23:59:59 UTC eingefügt, so dass eine Minute in diesem Fall aus 61 Sekunden besteht. Eine Uhr müsste in diesem Fall die Zeit "23:59:60" anzeigen.
Die Festlegung einer Schaltsekunde erfolgt duch IERS. Für die Umsetzung sind nationale Organisationen verwantwortlich, in Österreich ist dies das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV). Die nächste Schaltsekunde ist für den 31. Dezember 2016 vorgesehen, so dass die Silvesternacht 2016/17 heuer um eine Sekunde länger dauert als normal. Ist eine Schaltsekunde gefährlich? Die Frage mag in unserer heutigen Zeit angsichts überbordender Verschwörungstheorien lächerlich klingen. Doch die Antwort ist: JA! Die weltweite Koordination der Zeit ist wichtig für die globale digitale Kommunikation. Genau hier liegt das Problem: Computersysteme, die mit einer Minute zu 61 Sekunden Probleme haben, können angesichts einer Schaltsekunde mit Funktionsstörungen bis hin zum Ausfall reagieren, so wie dies in ähnlichen Fällen schon passiert ist. Alle Systemverantwortlichen sind daher angehalten, ihre Systeme auf diesen Fall vorzubereiten. Noch ist genug Zeit dafür. Diesmal ist die Gefahr aber absolut real. Ansonsten werden wir im täglichen Leben die Schaltsekunde nicht bemerken. Was ist schon eine Sekunde, werden viele denken. Nun, es kommt immer drauf an, was man daraus macht ... |
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