Schaltsekunde - was ist das?

Alexander Pikhard

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Die Drehung der Erde um ihre Achse war seit langem der wichtigste Zeitgeber für die Menschen. Doch je genauer die Uhren wurden, desto mehr wurde bewusst, dass sich die Erde gar nicht so gleichmäßig um ihre Achse dreht.

Die Entwicklung der Zeit

Schattenstab

Lange Zeit war die Sonne am Himmel die einzige Uhr, die die Menschen zur Verfügung hatten. Bald erkannten sie, dass der Schatten eines Gegenstands zur Zeitmessung dienen kann. So teilten die Menschen den Tag und die Nacht in je 12 Stunden. Diese Einteilung hat ihren Ursprung vor Jahrtausenden in Mesopotamien und Ägypten.

Da aber Tag und Nacht über das Jahr nicht gleich lang sind, sind auch die temporalen Stunden in dieser Zählung nicht gleich lang. So wäre in Wien eine temporale Tagstunde am Tag der Sommersonnenwende etwa doppelt so lang wie zur Wintersonnenwende; bei den Nachtstunden verhielte es sich genau umgekehrt.

Äquatoriale Sonnenuhr

Mit der Einführung des Polstabs - der Schattenstab der Sonnenuhr liegt parallel zur Erdachse und zeigt nach Norden zum Himmelsnordpol - wurden die Stunden, die die Sonnenuhr anzeigt, gleich lang. Wir sprechen von äquinoktialen Stunden.

Eine so konstruierte Sonnenuhr kann in Wien um die Sommersonnenwende die Zeit von etwa vier Uhr früh bis acht Uhr abends anzeigen, um die Wintersonnenwende von acht Uhr früh bis vier Uhr nachmittags. Aber ist zwölf Uhr mittags immer die Mitte des Tages?

Bild: Sonnenuhr Völs, commons.wikimedia.org

Mit der Erfindung und laufenden Verbesserung mechanischer Uhren war bald klar, dass auch die äquinoktialen Stunden nicht gleich lang sind und dass nicht immer die Mitte des Tages ist, wenn die Sonnenuhr 12 Uhr anzeigt.

Dem zweiten Keplerschen Gesetz entsprechend läuft die Erde nicht gleichförmig schnell um die Sonne, sondern in Sonnennähe (Anfang Jänner) schneller, in Sonnenferne (Anfang Juli) langsamer. Auch die Neigung der Erdachse zur Erdbahn trägt zu ungleich langen Äquinoktialstunden bei.

Wer es genau wissen will, findet hier unsere Erklärung: Alle Jahre wieder - das Rätsel vom frühesten Sonnenuntergang und spätesten Sonnenaufgang.

Bild: Astronomische Uhr am Altstädter Rathaus, Prag, commons.wikimedia.org

Mit dem Aufkommen noch genauerer Uhren wurde bald klar, dass die rotierende Erde selbst keine so genaue Uhr abgibt. Letztlich musste sogar die Zeit neu definiert werden. Bis nach 1950 war eine Sekunde der 86.400ste Teil eines mittleren Sonnentags. Doch eine Zeitskala, die sich an der Erdrotation orientiert, verläuft nicht gleichförmig.

1967 wurde die Sekunde als das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustands von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung definiert -- das endgültige Ende der astronomischen Zeit.

Bild: Atomuhr, de.wikipedia.org

Mit dem Aufkommen immer genauerer Uhren wurde bald klar, dass die rotierende Erde selbst keine so genaue Uhr abgibt.
Zum einen verlangsamt sich die Erdrotation kontinuierlich. Die Hauptursache hierfür ist der Mond, dessen Anziehungskraft die verformbaren Teile der Erde (vor allem die Ozeane -> Gezeiten) in die Länge zieht. Während sich die Erde mit 23 Stunden 56 Minuten um ihre Achse dreht, unterliegt die Verformung einer anderen Periode, die durch die Richtung zum Mond bestimmt wird (der die Erde einmal in 27¼ Tagen umkreist). Durch die so entstehende Reibung verlangsamt sich die Erdrotation um 1,8 Millisekunden pro Jahrhundert, also um 18 Mikrosekunden pro Jahr.

Zum anderen unterliegt die Erddrehung zahlreichen halbregelmäßigen Schwankungen, die ihre Ursache im inneren Aufbau der Erde, aber auch in der Anziehungskraft anderer Himmelskörper (vornehmlich Sonne und Mond) haben.

So wirkt sich etwa auf die Rotation der Erde messbar aus, wenn im Herbst auf der Nordhalbkugel in den enormen Laubwäldern Kanadas und Sibiriens die Blätter von den Bäumen fallen. Die Laubmasse verlagert sich um einige Meter in Richtung Erdmittelpunkt, die Erde wird schneller. Senkt sich im Frühjahr das verrottende Laub und wachsen auf den Bäumen neue Blätter, so verlangsamt sich die Erde wieder.

Schmelzen in den Polarregionen die Eismassen, die auf Festland liegen (Antarktis, Grönland), so hebt sie die Landmasse; dadurch steigt der Poldurchmesser der Erde, der Äquatordurchmesser wird geringer. Die Erde wird schlanker - und schneller.
All diese Effekte sind heute messbar.


Die Entwicklung der Tageslänge 1974 bis 2006

Wer "macht" die Zeit?

Basiert die Zeit auf der Erddrehung mit Bezug auf die Sonne, hat jeder Längengrad auf der Erde seine eigene Zeit. Auf einer sich um ihre Achse drehenden Kugel haben alle Orte auf einem Meridian die Sonne gleichzeitig im Süden, Mittag. Mit dem ersten Aufkommen von Globalisierung als Folge der Eisenbahn war es nicht mehr länger praktikabel, dass jeder Ort seine eigene Zeit hat - wie sollte so ein Fahrplan erstellt werden?

Ausgehend von einem System der nordamerikanischen Eisenbahngesellschaften wurde im Rahmen der Internationalen Meridiankonferenz 1884 in Washington die Erde in Zeitzonen eingeteilt. Dabei war die ursprüngliche Idee, dass innerhalb einer Zeitzone die Zonenzeit um maximal eine halbe Stunde von der Ortszeit abweicht.

  • Ortszeit: Die Zeit, die durch den Meridian, der durch einen Ort läuft (Ortsmeridian) definiert ist
  • Zonenzeit: Die Zeit, die durch den Meridian der Zeitzone definiert ist

Als Nullmeridian wurde der durch den Meridiankreis des Observatoriums in Greenwich (London) verlaufende Ortsmeridian festgelegt. Da die Erde in 24 Zeitzonen unterteilt wurde, hat jede Zeitzone eine Längenausdehnung von 360°/24 = 15°. Die Zonenmeridiane liegen also in jeweils 15° Abstand.

Für Österreich gilt die Mitteleuropäische Zeit (MEZ).

  • Der Zonenmeridian liegt auf 15° östlicher Länge (Gmünd)
  • Wien liegt auf einer geografischen Länge von 16° 22' Ost, mittlere Ortszeit MOZ = MEZ + 5,5 Minuten.
  • Bregenz liegt auf einer geografischen Länge von 9° 45' Ost, MOZ = MEZ - 23 Minuten

Heute orientieren sich die Zeitzonen nach politischen Grenzen; die Regel, wonach der Unterschied mittlere Ortszeit zu mittlere Zonenzeit unter einer halben Stunde ausmachen soll, gilt längst nicht mehr. So umfasst die Zone der MEZ fast die gesamte zentrale EU und reicht von der Ostgrenze Polens bis zur Westküste Spaniens. Viele Länder verschieben auch die Zeit gegenüber der regional üblichen Zonenzeit, entweder permanent (z.B. Iran und Indien) oder zeitweise (Sommerzeit).


Die heutigen Zeitzonen

In der heutigen, digital vernetzen Welt, reicht die Koordinierung der Zeit aber weit über die Zeitzonen hinaus. In weltumspannenden digitalen Netzwerken müssen alle Uhren gleich ticken. Wer macht diese weltweit koordinierte Zeit?

Der Internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (International Earth Rotation and Reference Systems, IERS) ist dafür verwantwortlich. Diese internationale Organisation verwaltet weltweit die Zeit.

Referenzsystem ist die TAI (Temps Atomique International, Internationale Atomzeit). 60 Zeitinstitute mit mehr als 250 Atomuhren stellen die weltweit gültige exakte Zeit bereit. Da die Cäsium-Atome dieser Uhren genauer schwingen, als sich die Erde als Wandelgestirn bewegt, kommt es zu Differenzen zur der aus der Erdrotation abgeleiteten UT1 (Universal Time). Da eine ungleichförmige Zeit nicht praktikabel ist, wurde die UTC (Universal Time Coordinated, koordinierte Weltzeit) eingeführt. Sie orientiert sich an der (astronomischen) Erddrehung, basiert aber auf der Sekundendefinition der TAI.

Da sich die Erdrotation verlangsamt, ist es von Zeit zu Zeit notwendig, die UTC an die TAI anzugleichen, damit Welt- und Atomzeit nicht auseinander driften (und in einer sehr fernen Zeit etwa Mittag TAI auf Mitternacht UTC fällt). Dies erfolgt durch eine

Schaltsekunde

Durch Einschieben einer Schaltsekunde wird sichergestellt, dass die Differenz zwischen TAI und UTC stets unter 0,9 Sekunden liegt. Im Mittel sind Schaltsekunden alle 18 Monate nötig. Sie werden, falls erforderlich, am 30. Juni oder 31. Dezember, theoretisch auch am 31. März, nach 23:59:59 UTC eingefügt, so dass eine Minute in diesem Fall aus 61 Sekunden besteht. Eine Uhr müsste in diesem Fall die Zeit "23:59:60" anzeigen.


Taglänge 1962-2011 und Schaltsekunden ab 1972 aus de.wikipedia.org (Click zum Vergrößern)

Die Festlegung einer Schaltsekunde erfolgt duch IERS. Für die Umsetzung sind nationale Organisationen verwantwortlich, in Österreich ist dies das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV).

Die nächste Schaltsekunde ist für den 31. Dezember 2016 vorgesehen, so dass die Silvesternacht 2016/17 heuer um eine Sekunde länger dauert als normal.

Ist eine Schaltsekunde gefährlich?

Die Frage mag in unserer heutigen Zeit angsichts überbordender Verschwörungstheorien lächerlich klingen. Doch die Antwort ist: JA!

Die weltweite Koordination der Zeit ist wichtig für die globale digitale Kommunikation. Genau hier liegt das Problem: Computersysteme, die mit einer Minute zu 61 Sekunden Probleme haben, können angesichts einer Schaltsekunde mit Funktionsstörungen bis hin zum Ausfall reagieren, so wie dies in ähnlichen Fällen schon passiert ist. Alle Systemverantwortlichen sind daher angehalten, ihre Systeme auf diesen Fall vorzubereiten. Noch ist genug Zeit dafür. Diesmal ist die Gefahr aber absolut real.

Ansonsten werden wir im täglichen Leben die Schaltsekunde nicht bemerken. Was ist schon eine Sekunde, werden viele denken. Nun, es kommt immer drauf an, was man daraus macht ...


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