Milchstrasse mit freiem Auge, Teil 2

Payerbach/NÖ, 18. 09. 2004

20040918wvo21.html

Beobachter:Wolfgang Vollmann
Datum:18. 09. 2004
Zeit:21.00 bis 23.30 MESZ
Ort:Payerbach/NÖ
Instrument:Freies Auge
Bedingungen:

Durchsicht:sehr gut (1)
Aufhellung:gut (2)
Freis. vis. Grenzgroesse:6.5

Bericht:

Heute ist es sehr dunkel und klar. Mit freiem Auge kann ich Sterne bis 6,4mag erkennen -- eine gute Nacht! In Payerbach ist es auch nicht mehr so häufig, dass ich Nächte mit besser als 6,0mag freisichtige Grenzgrösse habe, vor allem im Winterhalbjahr stört am Abend die Beleuchtung durch die Nachtschipiste am Semmering sehr.

Nachdem ich den Kometen C/2001 Q4 (NEAT) beobachtet habe (siehe Beobachtungsbericht) unternehme ich eine weitere Tour durch die Milchstrasse mit freiem Auge. Es ist in gewisser Weise eine Fortsetzung meiner Beobachtungen vom 2. und 3.Sept. aus dem Süden Europas (siehe Beobachtungsbericht aus Kreta).

Natürlich beginne ich im Südwesten mit der Schild-Wolke. Sie ist zwischen Lambda Aquilae (λ Aql), Beta und Delta Scuti (β und δ Sct) gut sichtbar. Der Westrand dieser Sternwolke ist, etwa Nord-Süd ausgerichtet, besonders hell und unterstreicht den Kontrast mit den Dunkelwolken des Great Rift im Westen. Wieder bemerke ich, dass die Schild-Wolke deutlich heller als die Schwan-Wolke ist. Sie erscheint uns deshalb so hell, weil wir hier einen Teil des Sagittarius-Carina Spiralarms unserer Galaxis sehen, der von den Dunkelwolken etwas freigegeben wird.
Zur Struktur der Milchstrasse siehe: http://www.anzwers.org/free/universe/milkyway.html.
Sternbild Schild im Sternbilderatlas von Credner und Kohle: http://www.allthesky.com/constellations/scutum/constell.html

Das Dunkelband auf der Westseite der Schild-Wolke ist auffallend: Alpha Scuti (α Sct) ist in (eigentlich vor) der Dunkelwolke, die sich östlich von Gamma Scuti (γ Sct) vorbeizieht.

Auch Beta Scuti (β Sct) steht schon vor Dunkelwolken, dort ist schon im Fernglas der grosse Dunkelnebel Barnard 117a, 119a und 320 (B 117a usw.) sichtbar.

Eta Ophiuchi (η Oph) steht mitten im Dunkelband des Great Rift, der grossen Teilung der Milchstrasse. Dort teilt es sich Richtung Süden in drei Arme, der östliche Arm ist der auf der Westseite der Schildwolke.
Sternbild Adler und westlich davon Eta Oph im Sternbilderatlas von Credner und Kohle: http://www.allthesky.com/constellations/aquila/constell.html

Weiter nördlich ist der Westarm der Milchstrasse besonders auffallend von Zeta Aquilae (ζ Aql) bis zum Sterndreieck 67/68/70 Oph. Etwa in der Mitte zwischen diesen Anhaltspunkten ist eine zweigeteilte hellere Sternwolke erkennbar. Ihr Ostteil ist der Offene Sternhaufen IC 4756. Er hat für das freie Auge etwa ein Grad Durchmesser und ist besonders hell am Rande des Great Rift. Im Westteil befindet sich der Offene Sternhaufen NGC 6633, den ich aber nur undeutlich mit freiem Auge erkennen kann.

Westlich von Gamma Aquilae (γ Aql) befindet sich eine kleine Dunkelwolke: Barnard 142/143, der "C-Nebel". Mit freiem Auge kann ich davon nichts sehen, aber im Fernglas 10x50 ist das "C" ganz gut erkennbar. Der Dunkelnebel ist auf der Karte für den Adler im Sternbilderatlas von Credner/Kohle eingezeichnet!

Weiter im Norden bemerke ich im Füchschen den Offenen Sternhaufen Cr 399. Er ist mit freiem Auge als helles Wölkchen gut zu sehen. Schade dass nach neuesten Erkenntnissen die Sterne in unterschiedlichem Abstand zur Erde stehen, es also kein "echter" Sternhaufen ist. Im Fernglas zeigt er warum er den Namen "Kleiderbügelsternhaufen" bekommen hat. Der Kleiderbügel hängt allerdings nach oben, wahrscheinlich ist der Name im umkehrenden Fernrohr entstanden. Er heisst auch "Brocchi's Cluster", siehe http://www.seds.org/messier/xtra/ngc/brocchi.html.
In dieser Gegend ist im "Bright Star Atlas" von Wil Tirion, den ich benutze, auch der Sternhaufen Stock 1 einladend gross eingezeichnet. Mit freiem Auge kann ich dort aber nichts mit Sicherheit sehen. Im 10x50 erkenne ich heute einen kleinen sternarmen Sternhaufen, der sich in zwei Sterngrüppchen gliedert.
Sternbild Füchschen (Vulpecula) im Sternbilderatlas von Credner/Kohle: http://www.allthesky.com/constellations/vulpecula/constell.html

Auf der galaktischen Länge von Beta Cygni (β Cyg, Albireo) versuche ich die mit freiem Auge sichtbare Breite der Milchstrasse zu schätzen. Ich kann die schwachen Ausläufer etwa bis 3 Grad an Gamma Lyrae (γ Lyr) heran und auf der Ostseite bis etwa 3 Grad an Alpha Delphini (α Del) sehen. Da die beiden Sterne etwa 28 Grad voneinander entfernt sind, ergibt das eine sichtbare Breite von um die 22 Grad. Ziemlich in der Mitte des Milchstrassenbandes ist dort natürlich das Dunkelband des Great Rift zu sehen.

Die Schwan-Sternwolke ist sehr hell und etwa elliptisch zu sehen. Sie reicht etwa von Gamma Cygni (γ Cyg) bis Beta Cygni (β Cyg), wobei die beiden Sterne noch in den hellsten Bereichen stehen. Auch dort ist der Grund für die hellen Sternwolken, dass wir der Länge nach in einen Spiralarm der Milchstrasse schauen: "unser" Spiralarm, der Orion-Arm. Auffallend finde ich heute auch wieder das Dunkelband in der Schwan-Wolke. Es beginnt etwa 2 Grad westlich von Gamma Cygni (γ Cyg), zieht sich ein Grad östlich von Eta Cygni (η Cyg) vorbei und verliert sich dann etwa in der Mitte zwischen Eta und Beta Cygni. Es kommt mir ziemlich gerade vor und ist nur 1/2 bis 1 Grad breit. Dieses Dunkelband ist vor allem mit freiem Auge auffallend; im Fernglas füllen es die schwächeren sichtbaren Sterne auf.
Sternbild Schwan im Sternbilderatlas von Credner/Kohle: http://www.allthesky.com/constellations/cygnus/constell.html

Der Beginn der grossen Teilung der Milchstrasse (des Great Rift) liegt nicht weit von Deneb im Schwan (α Cyg): es ist das gut sichtbare Dunkelgebiet zwischen Deneb, Gamma und Ny Cygni (α, γ und ν Cyg). Es hat den Namen Nördlicher Kohlensack erhalten und die Katalognummer LDN 906 (LDN = "Lynds Dark Nebulae" Katalog).

Zwischen Deneb, Xi und 59 Cygni befindet sich eine helle Sternwolke; sie ist mit freiem Auge auffallend. Unmittelbar südlich geht sie in den Nordamerikanebel NGC 7000 über. Ich kann den Nebel mit freiem Auge nicht erkennen. Aber ich probiere es wieder wie schon öfters mit einem UHC und einem O III Filter, die ich als ziemlich extravagante "Brille" benutze. Wie schon öfters bemerke ich einen deutlichen "Nebel-Blink" an dieser Stelle: der Emissionsnebel NGC 7000 strahlt für einen visuellen Beobachter vor allem im Licht des Sauerstoffs (O III) und Wasserstoffs (H β). Sterne strahlen in allen visuellen Spektralbereichen. Der Filter lässt also das Nebellicht fast ungehindert passieren, dämpft aber die Sterne merkbar ab: mit und ohne Filter scheint der Nebel also zu "blinken", deutlicher und weniger deutlich zu sein. Natürlich hat der Filter auch die Aufgabe, das auch bei dunklem Himmel vorhandene schwache Leuchten des Nachthimmels zu dämpfen, der Nebel erscheint also vor praktisch völlig schwarzem Himmel. Ich schütze mich mit Kapuze auch völlig vor jedem seitlichen Lichteinfall. Ergebnis: der Nordamerika-Nebel ist mit freiem Auge und Filter eindeutig sichtbar! Mit UHC Filter (Schmalbandfilter) erscheint er etwa so hell wie die Cyg-Sternwolke zwischen Beta und Gamma Cyg, mit dem O III Linienfilter sogar heller als die Cygnus Sternwolke: das ist der Nebel! Ohne Filter deckt den Nebel die Sternwolke im Norden davon zu. Im 10x50 Fernglas ist NGC 7000 schwach auch ohne Filter sichtbar, aber auch hier wird er erst mit Filter schön und die Nordamerika-Form ist dann ganz gut erkennbar.

Sehr auffallend ist heute auch das Dunkelband nördlich von Deneb. Es geht fast senkrecht zum galaktischen Äquator quer über die Milchstrasse und erscheint etwa 8 bis 9 Grad lang. Auf der Ostseite ist es schmal, auf der Westseite wird es breiter, erscheint also als Keil. Es hat keinen mir bekannten Namen oder Katalognummer. Der Amateurastronom Phil Harrington beschrieb es in seinem Buch "Touring the Universe through Binoculars" und gab ihm die inoffizielle Nummer "Harrington 10". Das Dunkelband kreuzt den Milchstrassenäquator ungefähr am Ort 21h20m +48°, die Mitte ist grob am Ort 21h00m +55° (2000.0).
Das (fast) namenlose Dunkelband ist auf dem Sternbilderatlas von Credner/Kohle auf der Kepheus-Karte ausgezeichnet zu erkennen: http://www.allthesky.com/constellations/cepheus/constell.html

Während dieser Wanderung über die Milchstrasse versuchte ich auch die Sichtbarkeit einiger Kugelsternhaufen mit freiem Auge zu beurteilen.
Auf der Westseite der Milchstrasse stehen M 13 und M 92 im Herkules. M 13 war heute Abend recht deutlich als kleine Wolke sichtbar (allerdings nicht getrennt von den beiden "Begleitsternen" 6mag). M 92 war sehr schwer: am richtigen Ort blinkt gelegentlich ein "Etwas" wie ein schwacher Stern auf. Das ist eine Grenzbeobachtung, mit freiem Auge würde ich sagen "blickweise, äusserst schwierig".
Auf der Ostseite der Milchstrasse finde ich M 15 im Pegasus und M 2 im Wassermann. M 15 steht etwas höher am Himmel und ist recht gut freisichtig, erscheint etwas flächig. Er ist nicht trennbar von einem Stern 6mag in der Nähe. M 2 ist schwieriger: am richtigen Ort blinkt immer wieder ein etwas flächiges "Etwas" auf. M 2 ist aber leichter als M 92 zu sehen.

Nach 23h15 wird der Himmel deutlich flauer, die Grenzgrösse geht zurück und die Milchstrasse wird blasser, viele Helligkeitsabstufungen und Einzelheiten werden undeutlich und verschwinden: ich beende die Beobachtung.