Die Eigenbewegung von Aldebaran

Wien 21, 08. 12. 2005

20051208wvo21.html

Beobachter:Wolfgang Vollmann
Datum:08. 12. 2005
Zeit:21.00 MEZ
Ort:Wien 21
Instrument:Refraktor 130/1040mm
Bedingungen:
Durchsicht:gut (2)
Aufhellung:ausreichend (3)
Bericht:

Im Jahre 1718 bemerkte Edmond Halley beim Vergleich von Sternörtern mit denen vom griechischen Astronomen Hipparchos gemessenen dass sich die Sterne 1.Grösse Sirius, Arkturus und Aldebaran in den ca. 1.850 Jahren Zwischenzeit um mehr als einen halben Grad bewegt hatten. So entdeckte Halley die Eigenbewegung der "Fixsterne".

Sterne "rasen" zwar mit vielen Kilometern pro Sekunde durchs Weltall, durch ihre grosse Entfernung ist die Verschiebung am Himmel aber meistens sehr klein: nur 0,1 Bogensekunden pro Jahr beträgt die Eigenbewegung der helleren (und meist näheren) Sterne. Die grösste Eigenbewegung von etwa 10 Bogensekunden pro Jahr können wir bei einem schwachen Stern 9.Grösse beobachten: Barnard's Pfeilstern: das ist mit 6 Lichtjahren Entfernung einer der allernächsten Sterne am Himmel. Nur durch den langen Zeitraum zwischen den Messungen von Hipparchus (mit freiem Auge!) und Halleys Zeit konnte er die Eigenbewegung erkennen.

Eine einfache Methode die Messung der Eigenbewegung nachzuvollziehen bieten schwache Begleiter naher Sterne, die sich viel weiter im Weltraum draussen befinden: sogenannte "optische Doppelsterne". Bei Wega in der Leier (α Lyr) habe ich das ausprobiert und die Eigenbewegung nachweisen können: siehe Beobachtungsbericht.

Auch Aldebaran im Stier (α Tau) ist ein relativ naher Stern mit relativ grosser Eigenbewegung, wie ja schon Halley herausgefunden hat: der schöne Sternbilderatlas von Till Credner und Sven Kohle zeigt den Stier mit dem "roten Auge" Aldebaran, dem Kopf (V-förmiger Sternhaufen der Hyaden) und dem Fleck im Rückenfell, dem Siebengestirn (Pleiaden) sehr schön:

Externer Link zu: http://www.allthesky.com/constellations/taurus/constell.html.

Aldebaran hat einen schwachen Begleiter 11.Grösse, Aldebaran C, der offenbar viel weiter draussen im Weltall steht. Derzeit ist dieser Begleiter etwa 130 Bogensekunden vom hellen Stern A entfernt: wir finden ihn in Richtung Nordnordosten, also "11 Uhr" wenn Norden oben und Osten links ist: der Positionswinkel beträgt etwa 30 Grad. Stern C wurde von Wilhelm Struve unter der Katalognummer STFA 2AC (Struve Appendix Nummer 2) in den 1830er Jahren beobachtet. Im Washington Double Star Catalog (WDS) finden wir ihn unter der Bezeichnung 04359+1631, was den Ort (2000.0) angibt: 4h35,9m +16°31'. Zur Zeit der ersten Messungen dieses Begleiters 1781 durch William Herschel war der helle Stern Aldebaran A nur etwa 88 Bogensekunden von C entfernt: A bewegt sich nahezu vom Begleiter C weg!

Am Abend des 8.Dez.2005 beobachtete ich Aldebaran mit meinem 130mm Refraktor. Bei 208-facher Vergrösserung war der Begleiter C im Nordnordosten gut zu sehen. A hatte eine ziemlich gelbe Farbe mit etwas Rot-Beimischung, ein typischer "Roter Riesenstern" (die Farbe wird meistens etwas übertrieben ;-) Ausserdem waren im Gesichtsfeld noch zwei weitere Sterne deutlich sichtbar, die viel weiter von A als C abstehen: einer im Süden und einer etwa im Westen.

Ich versuchte den Abstand und den Positionswinkel von C relativ zu A zu vermessen. Dazu benützte ich das Microguide-Okular von Baader und eine 3x Barlowlinse um die Vergrösserung zu steigern. Im Gesichtsfeld dieses Okulars sind verschiedene Skalen und Winkelmesser eingeblendet die eine mikrometrische Vermessung von Sternpaaren zulassen. Die Messung war nicht einfach: bei aufgedrehter Gesichtsfeldbeleuchtung verschwand Aldebaran C; das war aber notwendig um die Messskalen zu sehen. So wechselte ich oft zwischen hell und dunkel, es war aber trotzdem sicher keine besonders genaue Messung. Als Ergebnis erhielt ich aus 10 Einzelmessungen einen Abstand der Sterne A-C von 136,6 Bogensekunden und einen Positionswinkel von 31,6 Grad, allerdings mit relativ grosser Unsicherheit: 3,0 Bogensekunden in der Distanz und 1,1 Grad im Positionswinkel.

Beim Vergleich mit einigen Beobachtungen aus der Literatur zeigt sich aber wunderschön die Eigenbewegung von Aldebaran A:
Jahr Distanz Positionswinkel Quelle/Literatur
1781 87,8" 37° WDS/vermutlich W.Herschel
1832 109,0" 36° Sky Catalogue 2000.0 Vol.2, vermutlich W.Struve
1923 121,7" 34° Sky Catalogue 2000.0 Vol.2
1982 131,3" 32° WDS 1996
1997 133,2" 31° WDS
2005 136,6" 31,6° meine Beobachtung

Wenn ich mir die Messungen aufzeichne erhalte ich die geradlinige Bewegung von Aldebaran A, der sich fast direkt von C entfernt. In den 224 Jahren zwischen 1781 und 2005 mass ich auf meiner Skizze, dass sich Aldebaran A 49 Bogensekunden weit in Richtung Positionswinkel 160 Grad bewegt hatte: das ergibt eine jährliche Eigenbewegung von 0,22 Bogensekunden pro Jahr. Dieses Ergebnis stimmt sehr gut mit den aktuellen Daten der Datenbank der nahen Sterne des Astronomischen Rechen-Instituts (ARI) zusammen: auf dem Eintrag für Aldebaran A findet sich die jährliche Eigenbewegung von 0,200 Bogensekunden in Richtung 161,1 Grad angegeben.

Nicht jeder schwache Stern ist aber weit entfernt und im Hintergrund: Aldebaran hat einen weiteren schwachen Begleiter B: der WDS gibt eine Helligkeit von 13,5mag und eine Distanz von 30,8 Bogensekunden in Richtung Positionswinkel 111 Grad an. Als Entdeckercode ist BU550 angegeben, also eine Entdeckung von S.W.Burnham. Bei meiner Beobachtung konnte ich diesen Begleiter B wegen seiner Lichtschwäche nicht sehen. Er ist auf dem Datenblatt für Aldebaran B des ARI mit der gleichen Entfernung und der gleichen Eigenbewegung wie A angegeben: 67 Lichtjahre. Aldebaran B ist offenbar ein schwacher roter Zwergstern, der A auf seinem Weg durch die Galaxis begleitet. Die projizierte Distanz der beiden Sterne ergibt sich aus der Winkeldistanz und der Entfernung zu mindestens 2000 Astronomische Einheiten (AE): das ist sehr gross, etwa der 20fache Durchmesser des Sonnensystems.

Wer schafft es das Aldebaran-System mit den drei Sternen A, B und C abzubilden? Das ist wegen des sehr grossen Helligkeitsunterschieds sicher nicht einfach. Natürlich könnte ich entsprechende Bilder wieder vermessen!

Viele Grüsse und "clear skies",
Wolfgang